Reformierte Gemeinde in Warschau

Nur persönliche Begegnungen können die Gräben zwischen Polen und Deutschen schließen.

Bischof i.R. Zdislaw Tranda – Unsere reformierte Kirche in Polen hatte schon seit 1982 Kontakt zur reformierten Kirche Lippe in Deutschland, speziell auch zum Superintendenten Herrn Haarbeck. Bald nach der Wende meldete sich Frau Haarbeck und erzählte von den Einsätzen der Frauen im Kinderzentrum. Sie fragte, ob wir als Kirche für Kontakte und Treffen zur Verfügung stünden. Da habe ich natürlich zugesagt.
In diesem Zusammenhang ist auch Pfarrer Danes zu nennen. Er war noch zu kommunistischen Zeiten aus der Tschechoslowakei nach Polen gekommen, weil er sich in seinem Heimatland bedroht fühlte – er unterhielt Beziehungen zur Untergrundbewegung. In Polen wurde ihm aber nicht erlaubt, als Pfarrer zu arbeiten. So ging er zunächst mit einem Stipendium in die Niederlande, dann nach Deutschland, nach Detmold, wo auch Haarbecks wohnten. Pfarrer Danes hat sich auch bei der Organisation und Begleitung der Frauengruppen engagiert.

 

Einander näher kommen

Als dann die erste Gruppe eintraf, hörte ich von den Schwierigkeiten, die sie im Kinderkrankenhaus hatten. Sie wurden von den Mitarbeiterinnen sehr distanziert aufgenommen, und auch die gesamte Organisation ließ zu wünschen übrig. Da versuchte ich Mitte der 1990er Jahre zwischen Krankenhausleitung und der deutschen Frauenhilfe zu vermitteln. Mit der Zeit änderte sich das Verhältnis, und die Frauen aus Deutschland waren wieder gern gesehene Gäste.
Für uns als Gemeinde war es sehr schön, dass die Gruppen auch zu uns in den Gottesdienst kamen. Wenn ich an diesem Sonntag der Prediger war, bereitete ich die Predigt auch auf Deutsch vor und gab sie den Frauen schriftlich. Manchmal beteiligten sie sich mit am Gottesdienst.
Im Anschluss an den Gottesdienst gab es ein Treffen in unseren Gemeinderäumen bei Kaffee und Kuchen, und wir konnten uns kennenlernen. Dazu dienten auch die Ausflüge, die die Frauen mit einem Bus des Krankenhauses am Wochenende unternahmen. Bei diesen Ausflügen begleitete ich sie mehrere Male. Wir fuhren unter anderem in die KZ-Gedenkstätten nach Treblinka und Majdanek. Da spürte ich sehr, dass die Frauen mit der alten Schuld der Deutschen nach Polen kamen.
Aber wir hatten auch andere Ziele bei unseren Ausflügen. Zum Beispiel bin ich mit ihnen in einem Jahr nach Wegrów gefahren. Dort befindet sich die älteste reformierte Gemeinde in Polen, die für die Geschichte unserer Kirche eine wichtige Rolle spielt.
Die Treffen in unserer Gemeinde und die Ausflüge waren wichtige und schöne gemeinsame Unternehmungen, die uns einander näher gebracht haben.

 

Binnen einer Woche änderte sich das Verhältnis

Ich möchte dazu noch etwas aus den 60er Jahren erzählen. 1964 bekamen wir als reformierte Kirche Besuch von einer Gruppe Theologiestudenten aus Wuppertal. Der Leiter des Predigerseminars hatte diese Reise organisiert. Der Zweite Weltkrieg war zwar schon fast 20 Jahre vorbei, aber es gab große Ressentiments der Polen den Deutschen gegenüber. Zu dieser Zeit bestanden nur wenige Kontakte zwischen Polen und Deutschen.
Jedenfalls erinnere ich mich, dass am ersten Begegnungsabend zwischen unserer Gemeinde und der deutschen Gruppe eine sehr kühle, distanzierte Atmosphäre herrschte. Doch innerhalb der einen Woche, in der wir uns alle besser kennenlernten, gemeinsame Ausflüge machten, änderte sich das Verhältnis. Für mich persönlich war der Besuch in Auschwitz sehr wichtig. Dort trugen sie sich ins Gästebuch ein, und der Rektor schrieb sinngemäß: „Wir schämen uns, Deutsche zu sein, und sehen mit Schmerzen, was die deutsche Nation getan hat.“ Das hat mich sehr berührt.
Am Ende des Besuchs gab es wieder ein Treffen mit Gemeindegliedern von uns und der Gruppe. Da war die Atmosphäre eine ganz andere: gelöst und vertraut.
Schon damals habe ich verstanden, dass nur persönliche Begegnungen die Gräben zwischen Polen und Deutschen schließen können. Und so begrüßte ich die Aktion der Evangelischen Frauenhilfe aus Deutschland, hier zu arbeiten und auch außerhalb der Arbeit Kontakte zu knüpfen.
Ich erinnere mich übrigens auch an die Schwierigkeiten in den Frauengruppen am Anfang der 1990er Jahre, als Frauen aus Ost- und Westdeutschland gemeinsam in einer Gruppe waren. Es war für mich deutlich zu spüren, dass sie sich nicht besonders gut verstanden. Sie sagten es auch offen, dass es Probleme untereinander gibt. Die Mentalität sei sehr verschieden. Als ich vor wenigen Jahren wieder einmal eine Gruppe erlebte, konnte ich feststellen, dass es keine Rolle mehr spielte, ob die Frauen aus der früheren DDR oder aus der Bundesrepublik stammten. Das war sehr interessant zu beobachten.

Alina Burmajster – Ich war zu dieser Zeit Leiterin unseres Kirchgemeinderats und verantwortlich für die Frauenarbeit und die außergemeindlichen Kontakte. Darum habe ich die Treffen mit den deutschen Frauen mit vorbereitet und war auch immer mit dabei.
Ich spreche und verstehe kein Deutsch, so dass ich nicht so viel von den Gesprächen mitbekommen habe. Aber ich wusste, dass die Frauen im Kinderkrankenhaus arbeiten und dass es ein Versöhnungseinsatz war. Sie waren hier, um etwas wieder gut zu machen, was ihre Vorfahren in Polen im Zweiten Weltkrieg angerichtet hatten. Sie baten um Vergebung und Verzeihung. Das konnte ich gut verstehen.
Aber ich bin diesen Frauen nie mit Vorbehalten entgegengetreten. Sie waren meist in meinem Alter und wir verstanden uns gut. Es gab keine Distanz zwischen uns. Wir trafen uns in Freundschaft.

Marzena Matejka – Irgendwann gab es bei der Organisation dieser Einsätze der Frauen die Idee, dass es eine gemischte Gruppe geben könnte: polnische und deutsche Frauen. Ich war gerade frisch nach Warschau gekommen und hatte mit meiner Arbeit bei der reformierten Gemeinde begonnen. Da wurde ich im Sommer zu diesem Einsatz delegiert. Eigentlich sollte auch aus der evangelisch-lutherischen Kirche eine Frau mitmachen, aber es fand sich dort keine. So war ich die einzige polnische Frau.
2001 war mein erster Einsatz. Da wohnte ich auch mit den deutschen Frauen auf dem Gelände des Krankenhauses. Wir arbeiteten zusammen und verbrachten auch die freie Zeit miteinander. Im zweiten Jahr wohnte ich zu Hause und fuhr zum Arbeiten ins Krankenhaus. Bei den Nachmittagsaktivitäten konnte ich nicht alles mitmachen, da ich hier in der Gemeinde zu tun hatte.
Für mich ist es erstaunlich, dass es so viele Jahre nach dem Krieg immer noch Leute gibt, die Probleme damit haben, sowohl auf deutscher als auch auf polnischer Seite. Ich kenne zum Beispiel eine alte polnische Frau, die die deutsche Sprache nicht erträgt – außer, wenn Gedichte von Heinrich Heine rezitiert werden. Ich selbst bin da sehr unbefangen an die Sache herangegangen.
Es war gut für mich, persönliche Kontakte zu deutschen Frauen zu knüpfen. Es ist etwas anderes, echte Menschen zu kennen, als nur darüber zu lesen. Ich hatte vorher keine Deutschen persönlich gekannt, hatte aber auch keine Vorurteile.
Die deutschen Frauen waren sehr interessiert an unserem, an meinem Leben. Und an der Geschichte Polens.
Es war für mich eine gute Erfahrung.

Die Versöhner_innen.