Krystyna Rynkiewicz

Ich war mittendrin und sehr froh mit meiner Rolle.

Meine Mutter und ich sind evangelisch und gehören zur Trinitatisgemeinde hier in Warschau. Meine Mutter konnte Deutsch sprechen – sie war vor dem Krieg Deutschlehrerin gewesen. Und ich lernte Deutsch, als ich anfing in der deutschen Botschaft in Warschau zu arbeiten.
Unser Pastor Jan Walter und seine Frau Ewa hatten sehr gute Kontakte ins Ausland, so dass viele ausländische Gruppen unsere Gemeinde besuchten. Als Mitte der 1980er Jahre Frauengruppen von der Evangelischen Frauenhilfe in der DDR zu ehrenamtlicher Arbeit ins Kinderkrankenhaus kamen, nahmen sie auch Kontakt zu unserem Pastoren-Ehepaar auf. Sie wurden zum Gottesdienst und zum anschließenden Kaffee eingeladen. Und da unser Pastor immer viel zu tun hatte, bat er Gemeindeglieder, die Deutsch sprachen, sich um die Frauen zu kümmern.
Kurz nach der Wende kamen so auch meine Mutter und ich in näheren Kontakt zu den Frauen.

 

Tische, Stühle und zwei Sessel

Ich erinnere mich noch sehr gut an das erste Treffen. Die Frauengruppe kam zum Gottesdienst, danach gab es Kaffee und Kuchen, und wir unterhielten uns sehr interessiert. Es war schönes Wetter, und so schlugen wir vor, in den Łazienki-Park zu gehen und dem Freiluft-Chopin-Konzert zu lauschen. Die Frauen waren einverstanden und wir fuhren zusammen dorthin.
Danach begleitete ich die Frauen zum Bus und lud sie sehr spontan zu mir nach Hause ein, denn es lag auf dem Weg. Alle Frauen kamen mit, und so hatte ich plötzlich eine Gruppe von zwölf Personen in meiner Wohnung, dazu meine Mutter und mich. Meine Wohnung ist 47 Quadratmeter groß – für polnische Verhältnisse war das für eine Person eine große Wohnung. Aber es wurde natürlich ein wenig eng. Doch das machte gar nichts. Ich hatte zum Glück gerade am Vortag Kuchen gebacken und eingekauft, so dass ich schnell etwas zu Essen machen konnte, während meine Mutter mit den Frauen sprach. Es wurde ein sehr schöner entspannter, fröhlicher Nachmittag. Wir haben uns gut unterhalten, uns füreinander interessiert. Die Frauen waren begeistert, und ich hielt die ganzen zwei Wochen Kontakt zu ihnen.
Die Frauen hatten mir erzählt, dass es mit der Organisation ihres Einsatzes noch nicht so gut klappte, sie sind zum Beispiel nicht vom Bahnhof abgeholt worden. Im kommenden Jahr schrieben sie mir dann schon im Vorfeld, wann sie wieder da sein würden, und ich holte sie gleich vom Bus ab. Sie besuchten die Gemeinde und auch mich persönlich in meiner Wohnung. Einige waren im Jahr zuvor schon dagewesen, andere waren neu. So lernte ich jedes Jahr neue Frauen kennen. Und es entwickelte sich eine Tradition: Ich lud die Gruppe jedes Jahr zu mir nach Hause ein.
Ich hatte mir ein Service für zwölf Personen gekauft, doch manchmal waren wir 15 oder mehr Personen. Da habe ich Geschirr dazugekauft. Außerdem hatte ich hier mehrere ineinander zu schiebende Tische, Stühle und zwei Sessel. Wenn junge Frauen da waren, dann saßen sie auf Kissen auf dem Boden.

 

Spontan und nicht so offiziell

Einmal hatte ich einen anderen Termin und konnte mich nicht um die Gruppe kümmern. Da bat ich Karolina Hansen, ein Gemeindemitglied, die sehr gut Deutsch sprach, das zu übernehmen. Von da an war auch sie eine Begleiterin der Gruppen.
Ich erinnere mich gut, dass wir einmal in der Nähe von Karolinas Wohnung spazieren gingen. Da lud sie ganz spontan die Gruppe zu sich ein und bat mich, schnell noch etwas einzukaufen. Und dann war es ein bisschen wie bei mir: So wie meine Mutter sprach Karolina mit der Gruppe, während ich schnell ein Essen bereitet habe.
Auf den Ausflügen, die die Frauen am Wochenende gemacht haben, begleitete ich sie oft. Wir waren zum Beispiel in Kazimierz Dolny, eine in Polen sehr bekannte kleine Stadt mit einer historischen Altstadt.
Wenn die Frauen aus Deutschland kamen, dann war für mich klar, dass ich sie in diesen zwei Wochen begleiten würde. Es war immer alles spontan und nicht so offiziell. Als Halina dann die Leitung hier in Polen übernommen hat, habe ich mich mit ihr abgesprochen.

 

Wie ein Gebet

Für mich war es etwas Besonderes zu sehen, wie die Gruppen sich in den 14 Tagen kennenlernten und immer mehr zusammengehörten. Obwohl sie oft sehr unterschiedlich waren und es auch Probleme gab. Einige Frauen sahen es als eine religiöse Aufgabe an, nach Polen zu kommen. Sie wollten gerne in den Gottesdienst. Für sie war auch ihre Arbeit im Kinderkrankenhaus wie ein Gebet. So habe ich es empfunden.
Andere wollten den Nachmittag und die Wochenenden mehr wie eine Touristin verbringen. Das war manchmal nicht so einfach. Aber die Leiterinnen haben das immer gut vermittelt.
Mit den sehr jungen Frauen, die in den letzten Jahren über Sühnezeichen gekommen sind, war es auch nicht einfach. Sie interessierten sich nicht so für die Kirche. Trotzdem kamen sie aber hierher nach Warschau zum Arbeiten und Kennenlernen des Landes. Ein junges Mädchen hatte dem Kind, das es im Krankenhaus betreut hatte, versprochen, wieder zu kommen, wenn der Junge erneut nach Warschau ins Krankenhaus müsste. Und eines Tages schrieb sie mir eine Mail, dass sie nach Warschau kommt, und fragte, ob sie bei mir schlafen könnte. Natürlich konnte sie. Sie kam, besuchte den Jungen im Krankenhaus und verbrachte auch mit mir Zeit.

 

Reise nach Wittenberg

So entstanden interessante Kontakte. Es besuchten mich privat immer mal wieder Frauen, die ich durch die Gruppen kennengelernt hatte. Ich selbst fuhr auch mehrmals nach Deutschland und besuchte dort Frauen.
Ich erinnere mich an einige Frauen aus Wittenberg, die mehrere Male hierherkamen. Denen erzählte ich, dass es ein Traum von meiner Mutter und mir wäre, einmal nach Wittenberg zu fahren, um die ganzen Luther-Stätten zu sehen. Da luden sie uns in einem Jahr beide nach Wittenberg ein. Das war eine so wunderschöne Reise. Später erzählte ich Frauen aus Westdeutschland davon und schwärmte von Wittenberg. Daraufhin organisierten die sich auch eine Reise und fuhren nach Wittenberg.

 

So knüpfte sich ein Netz von Kontakten.

Ich war mittendrin und sehr froh mit meiner Rolle. Ich habe bei den Begegnungen gesehen, wie sich Vorurteile abbauten.
Für viele Deutsche waren Polen doch Menschen, die viel trinken, wenig arbeiten und unehrlich sind. Und für viele Polen waren Deutsche Menschen, die über andere herrschen wollen und dabei über Leichen gehen.
Aber wir haben gelernt, dass es ganz anders ist. Das gegenseitige Kennenlernen hat viel bewirkt. So war ich sehr traurig, als ich hörte, dass das Projekt zu Ende ist. Für mich war es eine Freude, die Frauen jedes Jahr zu begleiten.

Die Versöhner_innen.