Grażyna Piegdoń und Barbara Burzyńska – Kinderkrankenhaus Warschau

Eine spielte Flöte, eine andere sang, und die Kinder standen staunend um beide herum

Grażyna Piegdoń ist Pflegedienstleiterin für das ganze Krankenhaus, Barbara Burzyńska ist leitende Schwester der Rehabilitations-Abteilung.

Ich, Grażyna Piegdoń, bin die Pflegedienstleiterin des Krankenhauses; ich arbeite hier seit seiner Eröffnung1. Zu dieser Zeit kamen schon Jugendgruppen aus der DDR und arbeiteten hier im Sommer. Da sie aber nicht mit uns Krankenschwestern arbeiteten, kann ich nur aus meiner Beobachtung berichten – nicht vom persönlichen Kennenlernen.
Sie waren vor allem im Garten beschäftigt und haben auch Bauarbeiten erledigt. Zum Beispiel bauten sie den Korczak-Innenhof nach Entwürfen eines deutschen Künstlers2. Zu dieser Zeit war ganz klar, dass es Versöhnungseinsätze sind, dass die deutschen Jugendlichen von Aktion Sühnezeichen kamen und etwas wieder gut machen wollten.
Unser Krankenhaus ist als ein Denkmal gebaut worden – ein Denkmal für die im 2. Weltkrieg ermordeten polnischen Kinder. Es kam Unterstützung aus aller Welt für den Bau, aber besonders lange aus der evangelischen Kirche in Ost- und Westdeutschland. Von Anfang an gab es auch persönliche Kontakte durch diese Jugendgruppen aus der DDR. Diese Partnerschaft hatte in den verschiedenen Zeiten verschiedene Formen.

 

Sie waren motiviert und voller Tatendrang

Ganz direkt kam ich mit dem Projekt in Berührung, als der Wunsch der Frauengruppen, die mittlerweile auch kamen, mit den Kindern auf den Stationen zu arbeiten, laut wurde. Für uns war das nicht so einfach. Wir hatten viel zu tun bei unserer Arbeit und fragten uns, wie wir die deutschen Frauen integrieren könnten. Sie sprachen kein Polnisch, sie waren nicht ausgebildet. Welche Aufgaben hatten wir für sie?
Aber wenn man will, dann findet man auch einen Weg. Es hat einige Zeit gedauert, aber dann fragte ich Barbara Burzyńska, ob sie in ihrer Rehabilitationsabteilung nicht eine Chance sähe, die Frauen zu beschäftigen. Das wird sie dann gleich noch selbst erzählen…
Es entwickelte sich dann zu einem sehr guten Projekt. Die Frauen begleiteten Kinder auf ihren Wegen durch das Krankenhaus und wir erlebten ein großes Engagement. Von unserer Seite bemühten wir uns, eine Dolmetscherin oder einen Dolmetscher für die Gruppe zu besorgen. Manchmal war es Konrad, Barbaras Sohn. Einige Male gab es innerhalb der Gruppe auch eine Frau, die Polnisch sprach.
Die Krankenhausleitung unterstützte das Projekt, wo sie konnte. Direktor Januszewicz ist da besonders zu erwähnen. Es gab jedes Jahr eine Begrüßungsveranstaltung und eine Verabschiedung mit einer Urkunde und kleinen Geschenken für die Frauen. Es war uns wichtig zu zeigen, dass wir wirklich dankbar waren, dass sie kamen. In einem Jahr, erinnere ich mich, reiste keine Gruppe an. Das fehlte uns richtig.
Für mich war sehr erstaunlich, mit welcher Energie die Frauen arbeiteten. Viele von ihnen waren nicht mehr jung, manche nicht ganz gesund. Aber das spielte keine Rolle. Sie waren so motiviert und voller Tatendrang. Das habe ich immer bewundert.
Besonders schön waren die Ausflüge am Wochenende, die wir mit der Gruppe unternahmen. Das Krankenhaus stellte einen Bus und einen Fahrer zur Verfügung. Wir richteten uns nach den Wünschen der Frauen – in den ersten Jahren waren wir häufiger in einer KZ-Gedenkstätte in Majdanek oder Treblinka. Aber wir sahen uns auch touristische Ziele an und polnische Kultur.
In den letzten Jahren wählten die Frauengruppen ihren Einsatztermin immer so, dass sie zum 1. August in Warschau waren, um an den Gedenkfeiern an den Warschauer Aufstand am 1. August 1944 teilzunehmen. Ich muss sagen, dass mich das sehr bewegt hat. Auch ich gehe immer zu diesen Feiern. Als ich einmal am Denkmal für die Gefallenen des Aufstands war, sah ich plötzlich ein kleines Plakat mit den Logos vom Krankenhaus, von Aktion Sühnezeichen Friedensdienste und von den Evangelischen Frauen in Deutschland und die Unterschriften aller Frauen dieser Gruppe.
Zweimal feierten wir auch einen ökumenischen Gottesdienst in der Krankenhauskapelle. Das war in den letzten Jahren. Den Gottesdienst gestalteten der katholische Krankenhausseelsorger und Halina Radacz und Sylvia Herche als evangelische Pastorinnen.

 

Sie waren Kolleginnen auf Zeit

Für mich war es ein sehr schöner persönlicher Kontakt mit diesen Frauen. Wir haben uns befreundet. Von meiner Seite gab es keine Vorbehalte gegenüber Deutschen. Ich bin ihnen unvoreingenommen begegnet. Sie waren Kolleginnen auf Zeit und wir haben nicht auf die schwierige deutsch-polnische Geschichte dabei geblickt. Wie tief die Gefühle von Schuld und Versöhnung in ihnen waren, habe ich eigentlich erst aus dem Film3 entnommen, der über dieses Projekt gedreht wurde.

Ich, Barbara Burzyńska, bin leitende Schwester der Rehabilitations-Abteilung. Eines Tages bekam ich einen Anruf meiner Chefin, Grażyna; sie fragte mich, ob ich eine Gruppe deutscher Frauen vielleicht auf meiner Rehabilitationsstation beschäftigen könnte. Ich sagte ja.
Im ersten Jahr bat ich die Frauen, die Fenster zu putzen. Aber sie waren jeden Tag so schnell fertig. Und dann kamen sie und fragten: „Und was können wir noch tun? Was noch?“ Es war unglaublich. Einmal hörte ich Flötenmusik. Als ich auf den Flur trat, spielte eine Frau Flöte, eine andere sang, und die Kinder standen staunend um beide herum.

 

Eine Waschmaschine für die Station

Für das nächste Jahr dachten wir uns dann etwas anderes aus. Uns fehlte immer Personal, um die Kinder den Tag über zu den verschiedenen Behandlungen zu begleiten. Wir wollten nun versuchen, ob das mit den deutschen Frauen ging. Dazu brauchte es einige Vorbereitungszeit. Zuerst musste ich die Eltern und die Kinder fragen, ob sie damit einverstanden sind. Dann versuchte ich für jede Frau ein passendes Kind zu finden, das sie dann die ganzen zwei Wochen begleiten sollte. Ich fertigte Lagepläne an und für jedes Kind einen Behandlungsplan, damit die Frauen wussten, wo sie hin mussten.
Sehr schnell stellte sich heraus, dass diese Idee großartig war. Die Frauen lernten sehr schnell, sich im Krankenhaus zu orientieren. Und sie stellten sich mit viel Engagement auf das jeweilige Kind ein. Der erste Tag war der schwierigste – alles war für beide Seiten neu. Aber meist war am zweiten Tag schon alles in Ordnung. Die Frauen interessierten sich für ihre Patienten, sprachen mit den Schwestern, den Ärzten und den Eltern. Sie brachten kleine Spiele für die Wartezeiten mit und beschenkten die Kinder am Ende des Einsatzes. Sie gingen zusammen spazieren oder einkaufen. Sie lernten ein paar polnische Vokabeln von den Kindern, und manche Kinder lernten etwas Deutsch.
Natürlich gab es auch den Fall, dass Kind und Betreuerin nicht zusammen passten. Dann haben wir gewechselt. Das war alles möglich.
Das Engagement der Frauen ging weit über die Zeit ihres Einsatzes hier hinaus. Ich weiß von einigen Kindern, die auch danach Kontakt hatten, Geschenke bekamen oder sogar Besuch. Zwei Kinder konnten durch Vermittlung der deutschen Frauen in Deutschland operiert werden.
Auch für unsere Station fühlten sich die Frauen mit verantwortlich. Sie hatten uns Mitarbeitende alle kennengelernt, denn in den Pausen saßen wir zusammen und versuchten uns mit Wörterbüchern und Händen und Füßen zu unterhalten. Sie wollten viel über die Station und das Krankenhaus wissen. Und sie waren immer sehr besorgt darüber, dass uns oft das Geld für Anschaffungen fehlte. Sie schickten uns dann durch Spenden finanziert eine Waschmaschine für unsere Station, eine Mikrowelle und ein Radio für die Patienten.

 

Erstaunlich, wie tief der Wunsch nach Versöhnung in ihnen war

Ich habe mich am Anfang sehr gewundert, dass diese Frauen in ihrer freien Zeit zu uns kommen, um hier unentgeltlich zu arbeiten. Ich hatte dann von dem Versöhnungsgedanken gehört, mit dem sie gekommen sind. Auch das fand ich erstaunlich, wie tief der Wunsch nach Versöhnung in ihnen war. Sie haben immer sehr genau beobachtet, wie die Polinnen und Polen auf sie reagieren. Sie wollten nichts falsch machen. Sie erzählten auch, dass sie mit etwas Angst gekommen sind: Wie wird es werden? Werden wir anerkannt?
Es war für uns gut, dass sie auch von sich erzählt haben. Manche der Frauen hatten ihre Wurzeln in Polen und sind 1945 vertrieben worden. Sie erzählten einfach davon.
Wir, meine Krankenschwestern auf der Station und ich, sind ihnen offen begegnet, ohne Distanz. Ich persönlich habe keine Vorbehalte gegenüber den Deutschen. Für mich war es eine Freundschaft mit den Frauen, die mir sehr viel gegeben hat. Am Ende der Einsätze haben wir mit den Kindern kleine Geschenke für die Frauen gebastelt, um unsere Dankbarkeit zu zeigen.
Besonders erinnere ich mich an eine Weiterbildung, die die evangelischen Frauen für uns in Deutschland organisiert hatten. Wir besuchten dort Kinderkrankenhäuser, eine naturheilkundliche Klinik und ein Kinderhospiz. Das war ausgesprochen interessant und wurde extra für uns organisiert.
Mein Sohn Konrad, der bei den Einsätzen manchmal gedolmetscht hat, konnte durch die Kontakte in Deutschland bei zwei verschiedenen Frauen längere Zeit wohnen und sein Deutsch verbessern. Und nach dem Abitur konnte er in Deutschland studieren.
Ich habe einen großen Traum – ich möchte noch einmal alle Frauen sehen, die hier gearbeitet haben. Möchte sie treffen und erzählen hören über unsere gemeinsame Zeit.

 


 

  1. Einige Gebäude des Komplexes wurden schon 1977 eingeweiht; die offizielle Einweihung des KinderGesundheitsGedächtnisZentrums Warschau war am 1. Juni 1979.
  2. 1979-1983 künstlerische Umgestaltung zweier Innenhöfe zu therapeutischen Spielhöfen durch Friedrich Stachat. (www.friedrich-stachat.de/bau/korczak.html – Zugriff am 16.02.17)
  3. Bogdan Lęcznar, Dorota Petrus (Regisseure): Simply as a human being, Polnisch mit englischen UT, 2014
Die Versöhner_innen.